Viele Artikel beschäftigen sich mit der strukturierten Gestaltung und Aufgabenverteilung der Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter und geben hilfreiche Tipps für das konkrete Vorgehen.

Mein Fokus in diesem Blog ist ein anderer: Ich widme mich dem zwischenmenschlichen Aspekt des Onboardings und stelle die Haltung und das Verhalten des/ der Neuen und der Mitarbeiter des aufnehmenden Betriebs ins Zentrum der Betrachtung. Denn auch wenn eine neu ins Unternehmen kommende Führungskraft an sich schon aufgrund ihrer Position und Funktion eine Sonderstellung hat – sie ist de facto ein „Störfaktor“ im Establishment der Organisation. Sie selbst als auch das Unternehmen haben jeweils ihre Karten am Onboarding-Prozess. Und je nachdem, wie und wann jeder seine Karten zieht, trägt er zum Gelingen oder zum Fail des Starts bei.

Hier gebe ich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein paar Gedankenanstöße. Versetzen Sie sich bitte dazu selbst in die Rolle einer neu in einem Unternehmen startenden Führungskraft:

  • Onboarding bedeutet Veränderung – Veränderung bedeutet…
    Gewiss, jeder neu ins Unternehmen eintretende Mitarbeiter, egal auf welcher Unternehmensebene, stellt für beide Seiten eine Veränderung dar – und dies ist wichtig, sich stets vor Augen zu halten. Gerade mit dem Arbeitsbeginn des/der Neuen, und schon im Vorfeld, verbinden die Mitarbeiter viele verschiedene Emotionen, Erwartungen, Interessen. Und bei einem neuen Managementmitglied ist der Kreis derer, die sich Gedanken machen, angesichts des Wirkungsgrades und der Betroffenheit durch Ihr künftiges Agieren noch deutlich größer. Dementsprechend ist der Bogen der Reaktionen und Gefühle dieser Stakeholder vielfältig und oft widersprüchlich: Neugier, Ablehnung, Freude, Ärger, Erleichterung, Angst, Bedrohung, Unsicherheit/ Verunsicherung, Sicherheit, Offenheit, Vertrauen (-svorschuss), Chance, Hoffnung, Misstrauen, Wut, Gleichgültigkeit, Enttäuschung, abwartende Zurückhaltung uvm
    • Finden Sie mit Fragen heraus, welche Erwartungen (an Sie) und Interessen dahinterstehen. Idealerweise gelingt es Ihnen auch, herauszufinden, welche Gründe, Motivation die einzelnen Stakeholder dafür haben.
    • Gehen Sie auch in sich und ergründen Sie Ihre eigenen Erwartungen und Interessen. Es ist hilfreich, diese zu notieren.

      Welche Reaktionen nehme ich bei welchen Mitarbeitern/ Mitarbeitergruppen bzw. Einzel-personen wahr? Wie äußern sich diese?

      Wie ist die Information angekommen, dass Sie diese Position übernehmen? Welche Erwartungen an Sie äußern die unterschiedlichen Stakeholder a) explizit/ offen, b) implizit/ versteckt? Sind diese für Sie schlüssig?
  • Persönliches Wertesystem trifft auf Unternehmenskultur
    Sie selbst haben Wertevorstellungen, die sich durch Erziehung, die Beeinflussung/ Prägung durch verschiedenste Peergroups, Interessensgruppen und nahestehende Personen, generell Lebenserfahrung und Lessons learned aus früheren Stationen Ihres beruflichen Werdegangs herausgebildet haben. Spannend wird nun der Kontakt mit der Unternehmenskultur und dem Wertesystem des neuen Unternehmens!
    • Führen Sie sich Ihr eigenes Wertesystem vor Augen.

      Wofür stehen Sie als Mensch, als Manager? Was zeichnet Sie aus? Was sind Ihre Grundwerte, die für Sie unabdingbar sind? Was geht für Sie gar nicht, d.h. was sind für Sie absolute NoGos?
    • Finden Sie die Werte des Unternehmens heraus, d.h. wie das Unternehmen tickt.

      Wie definiert sich das Unternehmen auf der Website, in Broschüren, Pressetexten? Gibt es ein Unternehmensleitbild? Bekennt sich das Unternehmen zu bestimmten Werten?

      Was hören Sie in den Gesprächen mit Mitarbeitern aller (!) Unternehmensebenen heraus? Wo spießt sich möglicherweise das Geschriebene mit dem tatsächlich Gelebten? Gab es Veränderungen im Wertegefüge über die letzten Jahre? Könnte das mit einzelnen Personen zusammenhängen? Wer tönt in den Gesprächen besonders laut betreffend Werte? Wie scheint das Standing dieser Person(en) im Betrieb zu sein?

      Welche ungeschriebenen Spielregeln und Gesetze gelten im Unternehmen? Was hat sich offenbar unter einer bestimmten Führung oder über Jahre hinweg eingebürgert?
    • Stellen Sie Ihre Beobachtungen und Erkenntnisse Ihrem eigenen Wertekodex gegenüber und evaluieren Sie für sich das gewonnene Bild

      Wie passen die beiden Wertesysteme zusammen? Wo spießt es sich (für Sie)? Worauf sollten Sie künftig besonderes Augenmerk legen, was besonders berücksichtigen? Wo gibt es Entwicklungsbedarf im Sinne einer gezielten Organisationsentwicklung? Wer sind mögliche Opponenten einer solchen künftigen Entwicklung?
  • Kontakte knüpfen – Vertrauen gewinnen – Zuhören
    Auf Basis der obigen Ausführungen gewinnen Sie natürlich viele Einblicke in die Charakterzüge, Motivation, die innere Haltung und Interessenslage der Mitarbeiter.
    • Fragen Sie und hören Sie aufmerksam zu. Sie werden erkennen, wer (vermutlich/ möglicherweise)…
      Drive hat – Potenzial für mehr hat – eher bremst – ausgepowert/ an den Leistungsgrenzen ist – Eigeninteressen verfolgt – unterstützend sein kann – einen Schubs zur Leistung braucht – Grenzen/ Schranken benötigt – Herausforderung sucht/ braucht – innerlich gekündigt/ resigniert hat – kreativ ist/ Ideen hat – Ziele/ Perspektiven braucht – für gute Stimmung sorgt – einen guten Draht zu seinen Mitmenschen hat – im Hintergrund die Fäden zieht/ eine Graue Eminenz ist – als Multiplikator/ Meinungsbildner wirkt – viel Einfluss nehmen kann/ mächtig ist – über Erfolg oder Misserfolg entscheidet – ein verlässlicher Charakter ist – willensstark ist – mit dem Strom schwimmt – zu seiner Meinung steht und diese offen kommuniziert – begeisterungsfähig ist – im Hinblick auf den eigenen Nutzen taktiert – etwas voranbringt – Ihnen nach dem Munde redet – uvm
    • Machen Sie sich Notizen und visualisieren Sie für sich die Zusammenhänge, z.B. mittels Soziogrammen als grafischer Darstellung.
    • Legen Sie sich auf Basis der gewonnenen Eindrücke zurecht, wer in Ihrem künftigen innerbetrieblichen Netzwerk welche Rolle wahrnehmen könnte bzw. welche Strategie Sie sinnvollerweise gegenüber bestimmten Personen verfolgen werden.
  • Ihr eigenes Auftreten in der Onboardingphase
    Im aktuellen Status wollen und sollen Sie es sich mit niemandem verscherzen, keinen vor den Kopf stoßen, keine Barrieren errichten oder vorschnell Allianzen eingehen, die Sie möglicher-weise später bereuen. Und halten Sie sich zugleich vor Augen: Sie stehen unter Beobachtung!

    Dennoch wollen und sollen Sie schon da und dort wirksam in Erscheinung treten und klar wahrgenommen werden. Die eine oder andere typische „Das-bin-ich“-Botschaft muss schon platziert werden, man soll schon spüren, dass Sie da sind!

    Doch für die Umsetzung notwendiger Entscheidungen und damit einhergehender Veränderungen ist es noch zu früh. Jetzt ist die Phase der Vertrauensbildung und Informationsgewinnung, auf der dann Ihre künftige Managementtätigkeit fußt. D.h. umgerührt und allenfalls aufgeräumt wird später!
    • Das Gebot der Stunde ist somit,
      • eine gewisse Zurückhaltung an den Tag zu legen, menschlich positiv-neutral, aber sympathisch rüberzukommen,
      • das Setzen vertrauensbildender Maßnahmen,
      • das gezielte Einstreuen von Expertise, ohne als Besserwisser aufzutreten,
      • dort, wo erforderlich schon Grenzen zu setzen bzw. Position zu beziehen,
      • mehr zuzuhören als selbst zu reden, wobei das Fragen auf keinen Fall Verhörcharakter annehmen darf und
      • für sich selbst vorab zu definieren, was und wieviel Sie zu diesem Zeitpunkt gegenüber wem über sich selbst bewusst preisgeben. Je mehr Sie über das Unternehmen und seine Mitarbeiter wissen, desto gezielter können Sie Informationen über sich selbst auch streuen.

Hier geht’s bereits in Richtung Selbstmarketing – „doch das ist eine andere Geschichte“. Es bleibt spannend, denn Fortsetzung folgt…

Sollten Sie Fragen haben oder sich mit mir als Coach austauschen wollen, kontaktieren Sie mich.

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Im Sinne einer besseren Lesbarkeit des Textes habe ich die männliche Form einer Bezeichnung gewählt. Dies impliziert keinesfalls eine Benachteiligung von Personen anderen Geschlechts. Diese sollen sich von den Inhalten bitte gleichermaßen angesprochen fühlen. Ich danke für Ihr Verständnis.